TSG REUTLINGEN INKLUSIV
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Emotionaler Abschied
VON ANDREAS STEPHAN
REUTLINGEN/DEGERSCHLACHT. Wahrscheinlich spiegelte dieser Abend seinen Charakter ganz genau wider. Martin Sowa, langjähriger Abteilungsleiter und Gründer der TSG Inklusiv bei der Turn- und Sportgesellschaft (TSG) Reutlingen, wurde jetzt in der Auchterthalle in Degerschlacht verabschiedet. Nach 45 Jahren übergibt er die Verantwortung an Corinne Thür. Und obwohl das »sein« Abend war, stand nicht er im Mittelpunkt. Zusammen mit TSG Inklusiv-Geschäftsführer Albrecht Tappe plante er einen Abend voller Bewegung, an dem die vielen Sportgruppen der Abteilung im Rampenlicht standen.
»Wenn etwas nicht geht, dann machen wir es einfach«
Zu Beginn der Veranstaltung erklang gleich das Lied »Einfach machen« von Revolverheld. Und das, sagte Sowa, sei schon immer sein Motto gewesen. »Wenn etwas nicht geht, dann machen wir es einfach.« Im wahrsten Sinne des Wortes. Das hat ihn und seine TSG Inklusiv nun bis zur größten Abteilung der TSG gemacht. Über 600 Mitglieder sind Teil von Sowas Projekt, das 1979 gegründet wurde – und mit vier Kindern in einer Sporthalle begann.
Prominent besetzt war der letzte Abend, an dem Martin Sowa für die TSG voranging. Zu seinen Ehren kamen Friedemann Salzer, der Vorsitzende des Fördervereins für den Sport mit behinderten Menschen im Verein, die TSG Vorsitzenden Andreas Keppler und Michael Windmüller, Sportkreisvorsitzender Manuel Hailfinger und Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck. Hailfinger betonte, wie »unglaublich wichtig« die Abteilung der TSG sei und sprach ein großes Lob für die »tollen Strukturen« aus, die Sowa und sein Team im Laufe der Jahre aufgebaut haben. Nach seinen Dankesworten blieb Hailfinger gleich auf der Bühne – er durfte mit der Hip-Hop-Gruppe mittanzen, genauso wie Sowa und Tappe. Und der Sportkreisvorsitzende hatte sichtlich Spaß. »Bei der nächsten Sportlerehrung machen wir eine inklusive Hip-Hop-Gruppe mit uns drei«, witzelte Sowa nach dem Auftritt in Richtung Hailfinger.
Spaß hatten aber vor allem die beteiligten Sportler. Im Laufe des Abends wurde nicht nur getanzt, auch die Schwimmgruppe war auf der Bühne und musste in der Staffel möglichst schnell verschiedene Utensilien auf dem Schwimmbrett ins Ziel balancieren. Tischtennisspieler spielten die Bälle aus der Hand an, und zwei Fänger – Sowa und Tappe – versuchten die Bälle aufzufangen. Fußballer duellierten sich beim Zielschießen und Basketballer warfen Körbe. Egal wer auf der Bühne stand, jede Gruppe, jeder Sportler war begeistert dabei und genoss sichtlich seinen großen Moment im Rampenlicht.
Und Thomas Keck mischte auch mit. Er probierte sich mit den Leichtathleten am »Kugelstoßen«, bei dem Säckchen in Zielbereiche geworfen werden mussten. Unter strenger Beobachtung seiner Teamkameraden warf der OB hoch konzentriert sein Säckchen. Vorher allerdings wandte er sich auch mit warmen Worten an Sowa: »Vielen Dank für 45 Jahre. Für deine sagenhafte Lebensleistung. Du bist ein Pionier des Inklusionssports.« Andreas Keppler, Vorsitzender des TSG-Vorstands, lobte Sowa vor allem als »kreativen Ideengeber«, von dem er hoffe, dass er in irgendeiner Form dem Verein noch weiter erhalten bleibe.
Dieser Pionier engagierte sich auch beruflich intensiv für die Inklusion. Von 1983 bis 2006 lehrte er am Fachseminar für Sonderpädagogik in Reutlingen, bevor er als stellvertretender Schulleiter an die Fidelisschule in Sigmaringen wechselte, einem Bildungs- und Beratungszentrum für Schüler mit besonderen Förderbedarfen im Bereich der geistigen Entwicklung. 2013 übernahm Sowa eine neue Aufgabe in Stuttgart als Referent für Inklusionssport beim Landesbehindertenbeauftragten. In dieser überregionalen Funktion entwickelte er unter anderem das Projekt BISON, das darauf abzielt, Menschen mit Behinderungen besser in den organisierten Vereinssport zu integrieren.
»Vielen Dank für deine sagenhafte Lebensleistung«
Alleine hätte er das alles aber nicht geschafft, wie er sagte. Seine Familie begleitete ihn auf dem ganzen Weg. Als er seine Frau Marlies und seine Tochter Jasmin auf die Bühne holte, brach Sowas Stimme: »Du warst immer dabei, Marlies. Und ich freue mich auf das, was wir noch gemeinsam erleben werden.« Seine Tochter, erzählte er, habe immer behauptet, dass er verrückt sei. »Aber solange sie das sagt, ist alles richtig.«
Nachdem Tappe und er das Team von Übungsleitern auf der Bühne vorgestellt haben, sagte Sowa, dass es ein komisches Gefühl sei, jetzt zurückzutreten. »Aber hier steht so eine wertvolle Truppe, mit der es auch die nächsten 45 Jahre weitergehen soll.«
Es brauche einen tollen Teamgeist und er wünsche sich, dass dieser Geist bestehen bleibt »Wir haben eine gute Basis gelegt, jetzt baut darauf auf.« Vermissen werde er auch die Gespräche mit seinem Freund und Kollegen Albrecht Tappe. »Ohne Albrecht wäre das nicht machbar gewesen.« Das Ende der Veranstaltung vereinte schließlich alle Anwesenden. Sowa führte eine Polonaise an, die nach zwei Runden durch die Halle am Buffet haltmachte.
Was von Sowa bleibt, ist die größte Abteilung der TSG Reutlingen. Hunderte glückliche Gesichter. Und ein Vermächtnis der Menschlichkeit. Das wurde nicht nur mit einer Szene deutlich: als eine Sportlerin aus der Gruppe ihren ganzen Mut fasste, das Mikrofon an sich nahm und das Wort ergriff. Sie wolle nur eins sagen. »Martin ist der größte Held aller, aller Zeiten.« (GEA)